Das Schenkbarsche Haus in Biedenkopf
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Wissenschaftliche Abhandlung Teil 1:

Die Geschichte des Hofgartens und des Schenkbarschen Hauses im Licht neuer Quellen

 

In der Vergangenheit wurden über das Schenkbarsche Haus und den dazu gehörigen Hofgarten extrem unterschiedliche und zum Teil widersprüchliche Aussagen getroffen, die hier anhand neu aufgefundener Schriftquellen und neuer bauhistorischer Erkenntnisse überprüft und geordnet werden sollen.

Wie ungeheuer wichtig es ist, neue Dokumente und Belege für scheinbar Altbekanntes zu finden, zeigt ein Bild von 1840 (Bildarchiv Foto Marburg BilddateiNr. Fm417726), das das Schenkbarsche Haus erstmals mit den Resten seines Rundturmes zeigt. Bisher galt es immer als sicher, dass in Biedenkopf nur der Hexenturm als Rundturm erhalten war, alle anderen Türme seien Schalentürme.

Die Verwirrung bezüglich der Baugeschichte des Schenkbarschen Hauses beginnt in der Fachliteratur bereits mit der Lokalisierung des Hofgartens und des Hauses in der der Stadt.

So schreibt C.F. Günther in seinem Buch „Bilder aus der hessischen Vorzeit“ aus dem Jahre 1853 über drei Burgmannssitze in Biedenkopf. Zum einen nennt er das Haus eines „Schenken“ gegenüber der Kirche, dann die Döringsburg in der Obergasse und zuletzt einen Adelssitz der Herren von Breidenbach.

Mit dem Haus der Schenken scheint wohl das Schenkbarsche Haus gemeint zu sein, denn in diesem Zusammenhang wird all das erwähnt, was als Legenden über das Haus noch heute erzählt wird. Bei Günther ist von unterirdischen Gängen die Rede, deren Eingang in einem Nebengebäude im Hofgarten liegen sollen. Auch erwähnt er die Verlegung der Universität im Jahr 1563 in das Haus und die schwedischen Kanonen auf dem Dach im 30-jährigen Krieg.

Günther erwähnt auch den Sitz der Herren von Breidenbach in der sogenannten Hufenburg, die sich am Hofgarten unterhalb des Felsenkellers befinden soll. Dieser wird an der Eichpforte lokalisiert, also ist damit die heutige Klingelburg gemeint. Günther erwähnt im Zusammenhang mit der Beschreibung der Stadttore erneut die Eichpforte und die beiden Tore in die Unterstadt, die Marienpforte und die Hospitalpforte. Dann erwähnt er die Neue Pforte unterhalb des Felsenkellers, welche er in schlechtem Zustand und mit einer Wohnung für den Hirten überbaut antrifft. Diese Hirtenwohnung diente später zeitweise als Schulstube.

Hier wird deutlich, dass der Autor zwei Gebäude verwechselt hat und dabei sowohl den Hofgarten als auch den Felsenkeller gleichzeitig an zwei verschiedenen Enden der Altstadt verortet.

Dabei wird leider in tragischer Weise die blinde Literaturgläubigkeit der Vergangenheit, die teilweise bis heute andauert, vor Augen geführt, weil diese Verwechslungen völlig ungeprüft sowohl von Eugen Schneegans in den 1930er Jahren, als auch von Karl Huth in seinem Buch „Biedenkopf Burg und Stadt im Wandel der Zeit“ von 1977 übernommen wurden. Auch die Stadtverwaltung hatte diese Fehler bis vor Kurzem auf ihrer Homepage, von wo sie inzwischen aber verschwunden sind, von wo aus sie aber leider hundertfach in Geschichtsforen und Aufsätzen gepostet wurden und noch heute durch das Internet und sogar Fachliteratur geistern.

Die Verwechslung der beiden Gebäude könnte daher rühren, dass im Jahr 1490 zwei Vettern aus der Familie von Breidenbach jeweils mit Burglehen bedacht wurden, wobei hier ausdrücklich die jeweiligen dazu gehörigen „Hausungen“ also Burgmannssitze genannt werden (HStAD, E14, 2/1). Es gab also zwei Breidenbacher Höfe in der Stadt. Einen bei der heutigen Klingelburg an der Eichpforte und einen weiteren über dem Hofgarten.

Frau Dr. Elsa Blöcher war 1969 die erste, die in ihrem in den Hinterländer Geschichtsblättern erschienenen Artikel „Das Haus Bei der Kirche 8“ das Schenkbarsche Haus mit dem Schultheiß Heinrich Schenckbar in Verbindung brachte. Sie schloss diese u.a. aus dem lateinischen Spruch, der bis heute die Eingangstür des Hauses ziert. Dort ist von der „glücklichen Gefolgschaft der Schencken“ die Rede. Blöcher las hier statt „schenckariana cohors“ nun „schencbariana cohors“. Heinrich Schenckbar war bisher nur über von ihm gesiegelte Urkunden als Schultheiß von Biedenkopf bekannt. Nun ist eine Urkunde (HStAM, Urk. 82,622) aus dem Jahr 1610 bekannt geworden, in der Landgraf Moritz seinem „Lieutnant und Schultheiß Heinrich Schenckbar“ den Hofgarten als Erblehen gibt. Hier ist zum ersten Mal der Namensgeber mit diesem Haus und dem Hofgarten in Verbindung zu bringen.

Dr. Blöcher schloss in ihrem Aufsatz aus den Lebensdaten des Schultheißen Schenckbar auf die Bauzeit des Hauses. Diese Annahme wurde scheinbar durch ein im Jahr 1987 durch das Institut für Bauforschung in Marburg vorgenommenem Gutachten bestätigt. Seither galt auch aufgrund der Altersbestimmung der Hölzer im Dachstuhl und der Westwand 1610 als Baujahr des Hauses, obwohl zu diesem Zeitpunkt, wie das Gutachten selbst erwähnt, das Haus als Ganzes gar nicht untersucht werden konnte.

In genau diesem Gutachten des IBD sind die ehemaligen Besitzer des Hauses seit Beginn des 19. Jahrhunderts benannt. Auf die Geschichte des Hauses in den letzten 200 Jahren möchte ich hier allerdings nicht näher eingehen. Lediglich die Familie Koßmann ist hier wichtig. Elisabetha Juliana Koßmann geb. Junghenn war die Witwe des Pfarrers von Geismar bei Frankenberg und lebte seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhundert mit ihren fünf Kindern im Schenkbarschen Haus. Ein Sohn war Friedrich Koßmann, der in der rechten Haushälfte, heute Nr. 9, lebte, während seine Schwester Wilhelmina (verheiratet mit Christoph Plitt) links in der heutigen Haushälfte 8 wohnte.

Friedrich Koßmann bat um die Nutzung eines Kirchenstuhls und begründete dies damit, dass er ein Nachfahre der alten Patrizierfamilie Walther sei (HStAM, 111pNr 567). Hier bestand also eine verwandtschaftliche Verbindung der Familien, die das Haus nach und nach bewohnt hatten. Alle Erben der Witwe Koßmann gemeinsam versuchten im Jahr 1815, ehemalige Erbleihgrundstücke und damit auch den Hofgarten und das Haus käuflich zu erwerben. Diesem Gesuch wurde stattgegeben, womit das Haus endgültig zum Privatbesitz wurde (HstAM,110Nr7180).

Zur Hilfe bei der Erforschung kommt ein Rechtsstreit, der in den Jahren1764 bis 1777 geführt wurde. Hier versuchten die Familien Nagel und Pilger aus Dortmund, die von einem Amtsadvokaten Vogel aus Battenberg abstammten, ihren Anteil am Erblehen bezüglich des Hofgartens einzuklagen. Es handelte sich also um Erbstreitigkeiten (HStAM111eNr317 und HstAM110Nr7159).

Es ging um die Einkünfte aus dem Hofgarten und den Besitz des Hauses, in dem damals schon die Witwe Koßmann saß. Dieser wurde vorgeworfen, dass sie allen Nutzen daraus für sich und ihre Kinder alleine beanspruche. Des Weiteren scheinen die Zehnteinkünfte aus Dodenau (im Amt Battenberg), Mornhausen (im Amt Biedenkopf) und Ammenhausen (im Amt Blankenstein) in den meisten hierbei erwähnten Urkunden an den Hofgarten gebunden gewesen zu sein.

All diese Einkünfte und eben der Besitz des Hofgartens waren demnach verbunden mit dem sogenannten Waltherischen Erblehen. (HStAM, 110,7160) Neben vielen zum Teil sehr emotionalen Briefen an den Landgrafen in Darmstadt und vielen als Beleg beigefügten Urkundenabschriften früherer Dokumente, die das Lehen immer wieder bestätigen sollten, wurden auch Stammbäume und Ahnentafeln aufgeführt, um die entsprechenden Abstammung und Verwandtschaftsverhältnisse zu veranschaulichen. Hierin finden wir alle Schultheißen- und Rentmeisterfamilien des 17. und 18. Jahrhunderts wieder, die Schmidtborns und die Walthers und zum ersten Mal genealogisch einzuordnen die Familie Zießler. Auch wird immer vermerkt, wer wann der Lehensnehmer, also der Inhaber des Gutes, gewesen sei.

Durch weitere Dokumente konnte die Geschichte des Hauses zwischen 1610 und 1825 in Augenschein genommen werden. Bisher waren die Sachverhalte und hier besonders die Besitzverhältnisse nur über den Umweg bekannt, dass die Familie Nagel eben diesen erwähnten Erbschaftsstreit mit den restlichen Nachkommen der Schultheißenfamilie Walther geführt hatte. (HStAM, 110, 7160), (HStAM, 110, 7158), (HStAM 110,7180) und (HStAM, 110, 7157) Aus diesen Urkunden ging hervor, welchen Gang die Belehnungen für diesen Zeitraum nahm. Als erstes stößt man hierbei auf eine Wiederholung der bereits im Original bekannten Belehnung an Heinrich Schenkbar und gleich im nächsten Brief sollte sich klären, dass Schultheiß Walther nicht, wie vermutete mit den Schenckbars verwandt war, sondern dass er die Rechte am Haus und dem Hofgarten 1627 von Heinrich Schenkbar und dessen Erben gekauft hatte, er trat also nicht als Erbe, sondern als Käufer in das Erblehen ein. Eigentümer blieb weiterhin der hessische Landgraf, der den Walthers und ihren Nachkommen das Erblehen in regelmäßigen Abständen bestätigte.

Einen kurzen wenn auch parteiischen Überblick über die Verwandtschaftsverhältnisse in der Zeit zwischen 1630 und 1800 gibt ein weiterer Stammbaum, der als Beleg für die Erbansprüche der Familie Nagel im Dokument HStAM, 111 e, 317 beigefügt wurde. Auch über den Zeitpunkt der Teilung in zwei Haushälften und ebenso zu der Teilung des Grundstücks gibt das letzte Dokument (HStAM, 110,7180) Aufschluss. Im Jahr 1787 war die eine Haushälfte von der Witwe Koßmann bewohnt, von der die zukünftigen Besitzer ab 1810 in beiden Haushälften abstammen. Die andere Hälfte des Hauses bewohnte Frau Scriba, die Witwe des Pfarrers von Caldern, die sich aber verwandtschaftlich nicht der eigentlichen Lehensfamilie zuordnen lässt, wobei es auffallend ist, dass es sich um zwei Pfarrerswitwen handelt.

Die wichtigste Urkunde stammt jedoch aus dem Jahr 1577, also 33 Jahre vor dem angeblichen Baubeginn des Hauses. (HstAM,40f,393)

Hier listet Rentmeister Bastian Benner auf Befehl der Regierung alle Güter in der Stadt Biedenkopf auf, die der Landgraf „gemeinsam mit dem Breidenbacher Grund“ zwei Jahre zuvor (1575) von den Schencken zu Schweinsberg und Schutzbar genannt Milchling gekauft hatte. Gesondert aufgelistet werden die „Gärten“ und hier eben auch der „sogenannte Hofgarten“ mit der „dazu gehörigen Hofstatt über dem Kirchhof gelegen“.

Dr. Blöcher hatte in ihrem Aufsatz als weiteres Argument für die Datierung des Hauses auf das Jahr 1610 angeführt, dass kein Schenck jemals Besitz in Biedenkopf gehabt habe, was mit den jetzt entdeckten Urkunden als widerlegt gelten muss.

Warum aber musste oder wollte der hessische Landgraf Güter der Schencken und der Milchlings in Biedenkopf und dem Breidenbacher Grund kaufen? Von der Sache her ist das eher unüblich. Eher gab der Landesherr einen Besitz als Lehen weiter, als dass er ihn sich selbst aneignete. Um das zu verstehen, müssen wir tief in die Geschichte des Hinterlandes im 16. Jahrhundert eintauchen. Am übersichtlichsten dargestellt ist der Zusammenhang in den „Hinterländer Geschichtsblättern“ aus dem Jahr 1930 Nr. 3.

 

Johann von Breidenbach genannt Breidenstein wurde nicht wie zu erwarten von Landgraf Wilhelm III von Hessen (1471 - 1500) mit seinen Gütern belehnt, sondern durch den Grafen Eberhard zu Wittgenstein (1469–1494). Das geschah im Jahr 1491. Johanns Sohn Caspar erbte diese Güter und verstarb im Jahr 1541. Er hinterließ keinen männlichen Erben aber zwei Töchter. Die eine Tochter war mit Hartmann Schutzbar genannt Milchling und die andere Tochter mit Hermann Schenck zu Schweinsberg verheiratet. Als nun die beiden Schwiegersöhne Milchling und Schenck das Erbe antraten, wurde die Rechtmäßigkeit des Vorgangs von Anfang an durch die anderen Verwandten im Hause der Herren von Breidenbach angezweifelt und durch alle damals verfügbaren Instanzen bis hin zum Reichskammergericht eingeklagt. Zunächst wurde der Prozess von Heinz und später von Wolff von Breidenbach geführt. Anfangs bekamen die Schencken und die Milchlings von einem Marburger Gericht Recht und konnten den Besitz frei nutzen, ab den 60er Jahren des 16. Jahrhunderts schwankte die Rechtsprechung mal hin und mal her, bis sich auch der hessische Landgraf, der Graf von Wittgenstein und das Haus Nassau in den Streit einschalteten.

Die Schencken und die Milchlings hatten sich die Besitztümer durch eine Lehensbestätigung des Grafen von Wittgenstein sichern lassen. So war nicht nur die Hälfte des Breidenbacher Grundes, sondern auch alle Besitzungen und Güter des Caspar von Breidenbach genannt Breidenstein in und um Biedenkopf in ihren Besitz gelangt. Ihnen wurde deshalb von der hessischen Regierung sogar Landesverrat vorgeworfen, da sie unerlaubt den Lehensherrn gewechselt hätten. Die Sache schlug immer höhere, auch diplomatische, Wellen, bis der Landgraf von Hessen beschloss, der Sache durch den Ankauf der Güter ein Ende zu setzen. So kamen also alle Casparischen Güter, auch die in Biedenkopf, in den Besitz des Landgrafen.

Bei der Erforschung der Geschichte des Schenkbarschen Hauses galt es also jetzt nicht mehr nach Unterlagen über hessischen Landesbesitz zu forschen, sondern nach den Akten bezüglich dieses Rechtsstreites und nach Hinweisen auf Güter der Herren von Breidenbach. Über diesen Rechtsstreit sind die Unterlagen im Staatsarchiv vielfältig und sehr umfangreich. Jede einzelne Akte besteht aus mehr als 200 handgeschrieben Seiten. Mal argumentiert die eine, dann wieder die andere Seite mit Briefen, Zeugenaussagen und Abschriften älterer Urkunden.

Als erstes stößt man auf einen Vorgang nach dem Ankauf durch den Landgrafen aus dem Jahr 1598 (HStAM, 40 f, 391). Hier bittet der damalige Schultheiß Werner Walleck um die Belehnung mit dem Hofgarten. Zunächst führt der Schultheiß an, dass die ehemaligen Pächter Engelbach und Wagner das Gut vernachlässigt hätten, und dass er es lieber selbst bewirtschaften und wieder in Ordnung bringen wolle. Er habe auch schon damit begonnen, indem er am Hang zum Kottenbach Bäume gepflanzt und den alten Zaun durch einen neuen habe ersetzen lassen. Das klingt angesichts der unsicheren und sehr steilen Hanglage, die die Ostseite des Grundstückes bis heute prägt, logisch und sinnvoll. Außerdem spielt genau dieser heruntergekommene Zustand des Anwesens und der Außenanlage und hier besonders des Zaunes am Hang im Weiteren noch eine entscheidende Rolle.

Im Zusammenhang mit dem Verkauf an den Landgrafen oder zumindest in dieser Zeitspanne scheint sich die Bezeichnung Hofgarten für das gesamte Anwesen überhaupt erst durchgesetzt zu haben, denn im nächsten Dokument (HStAM, 257, B 341), nämlich den eigentlichen Auseinandersetzungen zwischen denen von Breidenbach einerseits und den Schencken und Milchlings andererseits wird immer von „unserem Hof am Hang des Burgberges zum Kottenbach hin“ die Rede sein. Dieser Garten bzw. dieser Hof, der im Dokument teilweise auch als „Sitz“ oder „Burgsitzhof“ und „Erbhof“ bezeichnet wird, ist dennoch eindeutig als der Hofgarten zu identifizieren: Nicht nur durch die Lage innerhalb der Stadt und mit Garten zum Kottenbach hin wie auch aufgrund seiner beschriebenen Hanglage, sondern auch durch den hier wieder mehrfach erwähnten und thematisierten Zaun, der scheinbar deshalb so wichtig war, weil er nicht nur den Garten einfriedete, sondern auch den Hang schützen sollte. Außerdem kam es im gleichen Dokument zum Streit zwischen der Stadt Biedenkopf und der Familie von Breidenbach wegen der entstandenen Rechnungen für die Ausbesserungen. Die Stadt stand auf dem Standpunkt, dass die Herren von Breidenbach zahlen müssen, da es hier schlichtweg um die Sicherung der eigenen Grundstücksgrenze derer von Breidenbach ginge und die Familie als Inhaberin eines Burgmannshofes ohnehin gemäß dem Lehensvertrag zu Wehr- und Schanzarbeiten verpflichtet sei. Dem gegenüber vertrat die Adelsfamilie den Standpunkt, dass die Stadt, wie damals üblich, selbst für ihre eigene Stadtbefestigung aufkommen müsse, auch wenn die Stadtmauer und die Wehranlagen mitten durch den Garten der Familie von Breidenbach verliefen. Auch in diesem Dokument wird der schlechte Zustand des Gutes beklagt und als Beweis dafür angeführt, dass eben die Schencken und Milchlings nicht pfleglich und pflichtbewusst mit dem Lehen umgegangen seien, was im Übrigen in den Forderungen an den Lehensnehmer in solchen Belehnungsurkunden immer wieder extra aufgeführt wird und sozusagen bei Nichteinhaltung als Vertragsbruch gewertet werden und damit zum Entzug des Lehens führen konnte.

Die Dokumente reichen zurück bis ins Jahr 1541 und erwähnen hier auch noch ältere Belehnungen der Herren von Breidenbach mit nicht nur einem, sondern mit zwei Burglehen, jeweils mit den dazu gehörigen Behausungen innerhalb der Stadt (HStAD Bestand E 14 G in Nr. 2/1). So ist auch Teil der Auseinandersetzung, ob der Besitzer eines Burglehens unbedingt in der Burg oder in seinem Burgmannssitz wohnen muss, oder ob es reicht, diesen als Lehen erhalten zu haben, um ihn weiter zu verpachten oder sogar als Afterlehen1 an Dritte weiterzureichen.

Was aber ist nun so ein Burgmannssitz genau? Hier möchte ich aus einem Werk zitieren, das eine schlüssige kurze Definition bietet (Thomas Biller: Burgmannensitze in Burgen des deutschen Raumes. In: Ettel, Peter (Hrsg.): La Basse-cour : actes du colloque international de Maynooth (Irlande), 23 - 30 août 2002 (Château Gaillard ; 21). Caen 2004, S. 7–16):

Ein Burgmannshof oder Burgmannenhof bzw. Burgmannenhaus wurde vom jeweiligen Burgherren oder Landesherren in Städten mit Festungscharakter auf oder neben größeren Burgen als Wohnsitz eines Burgmannen oder einer Burgmannenfamilie angelegt. Die Höfe lagen oft in einer Vorburg oder in der Stadt in der Nähe der Stadtbefestigung. Teilweise dienten sie selbst zu Verteidigungszwecken. Die Burgmannen zählten zu den Ministerialen, das heißt ihnen unterlag die Hofhaltung, Verwaltung und sie wurden zu Verteidigungs- sowie Kriegsdiensten hergezogen. Zum Teil waren sie auch für die Abhaltung der „Gerichtstage“ in der Stadt verantwortlich. Aus den Ministerialen entstand zum Teil der niedere Adel. Für ihre Leistungen und Dienste bei der Besitzverwaltung ihrer Herren sowie in deren Ritterheeren erhielten sie ein Dienstgut oder Lehen, über das sie dann im Laufe der Zeit frei verfügen und es vererben konnten. Bis ins 19. Jahrhundert hinein behielten die Burgmannshöfe ihre adlige Freiheit von allen städtischen Lasten, auch wenn sie schon in den Besitz bürgerlicher Familien gelangt waren. Bei den heute noch als Burgmannshöfe bezeichneten Gebäuden handelt es sich aber häufig nur um Nachfolgebauten aus der Zeit nach dem Mittelalter, an denen jedoch diese Rechte hingen“

Wenn also die Herren von Breidenbach zwei Burgmannssitze mit jeweiligen Burgmannshöfen in der Stadt hatten, so ist es einleuchtend, dass der eine Sitz wie überliefert auf dem Gelände der heutigen Klingelburg lag, und der andere mit dem späteren Hofgarten identisch ist. Das ergibt sich sowohl aus den Beschreibungen des Standortes als auch aus den in der Chronologie aufgeführten Quellen, die sich nun lückenlos, einem Zeitstrahl gleichend, durch alle Jahrhunderte ziehen. Bleibt nun noch die Frage nach dem frühesten Ursprung des Hauses.

Hier möchte ich eine noch frühere Quelle anführen. Es handelt sich um eine Urkunde über eine Zinsverlegung (HStAM, Urk. 45,2).

Hier wird beschrieben, dass Crafft Döring 1365 ein Haus, das „oberhalb des Kirchhofs“ liegt, an Contz Rul verkauft hat, während „Eylung von Hurle dort wohnhaft ist“. Ritter von Döring scheint bei der Kirche verschuldet gewesen zu sein, so dass er das Haus über dem Kirchhof zur Sicherheit gegeben hatte und die Zinsen wurden aus den Einnahmen aus diesem Anwesen gezahlt. Er musste das Haus aber „ledig und los“, also frei aller Grundschuld, an Contz Rul übergeben, so dass er den „Zins“, also die Belastung auf sein eigenes, ihm verbliebenes Haus umlegte. Der Zins betrug 3 Heller 20 Pfennige, eine damals durchaus bemerkenswerte Summe. So wurde also das Haus über dem Kirchhof schuldenfrei übergeben und die Döringsburg weiter belastet. Eylung von Hurle war wohl der Pächter, der sowohl unter Ritter Crafft von Döring, als auch später unter Contz Rul der Bewohner und Nutzer des Anwesens blieb. Wäre mit dem an Contz Rul verkauften Haus das Schenkbarsche Haus gemeint, wäre dies die bisher älteste Ersterwähnung aus dem Jahr 1365.

Kann das sein? Hier hilft der älteste Plan der Stadt, der im Zusammenhang mit dem Stadtbrand 1717 erstellt wurde und von Herrn Gerald Bamberger aufgefunden und in seinem Artikel in den Hinterländer Geschichtsblättern im Dezember 2013 ausgewertet wurde. Es liegen zwischen der Urkunde und der Erstellung des Plans zwar fast 400 Jahre, allerdings ist aus anderen teilweise besser dokumentierten Städten in der Geschichtswissenschaft und Archäologie bekannt, dass sich städtebaulich über die Jahrhunderte das äußere Gesicht einer Stadt immer wieder ändert, aber die Parzellierung gerade im Altstadtbereich über Jahrhunderte unverändert bleibt, da wie auch noch heute nicht die Gebäude verkauft oder als Lehen vergeben werden, sondern die jeweiligen Grundstücke, also Parzellen, da diese ja z.B. an unveränderliche Geländeformationen gebunden sind.

Man kann also davon ausgehen, dass die im Plan aufgezeichnete Parzellierung weitestgehend identisch ist mit der mittelalterlichen. Und hier fällt auf, dass fast alle Parzellen ausreichender Größe rund um die Kirche, also am Kirchhof, die innerhalb der Stadtmauern liegen, entweder seit eh und je städtisch oder kirchlich waren. Die einzige Ausnahme bildet eben die Parzelle „oberhalb“ des Kirchhofes, nämlich die des Schenkbarschen Hauses. Eine andere kommt rein geographisch nicht in Frage.

Außerdem gibt es mehrere Verbindungen zwischen den Geschlechtern der Ritter von Döring und der Herren von Breidenbach. Die Herren von Breidenbach erbten nach dem kinderlosen Tod des erwähnten Crafft Döring alle seine Güter, außerdem bildeten die beiden Familien ohnehin eine sogenannte Ganerbengemeinschaft (HStAM, Urk. 49, 660 und HStAM, Urk. 49,651). Eine solche beinhaltete unter anderem ein Vorkaufsrecht bei verkauften Gütern, die Mitgliedern der Ganerbschaftgemeinschaft gehören. Es entspricht also der Regel, dass die Herren von Breidenbach von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machten, als die Familie Rul das Haus wieder veräußern wollte. So oder so wäre das Haus in den Besitz der Herren von Breidenbach gekommen. Damit liegt die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Urkunde auf das Schenkbarsche Haus bezieht bei weit über 99 Prozent. 100-prozentig wird es aber nie zu beweisen sein, da dieser Vorgang zu tief im echten Mittelalter stattgefunden hat. Es sei denn, dass auch hier wieder ein zukünftiger, unglaublicher Zufallsfund zur Hilfe kommt, wie so unerwartet oft im Fall des Schenkbarschen Hauses.

Für die Zeit vor 1575 sind mit Ausnahme von Eylung von Hurle im 14. Jahrhundert und den Pächtern Engelbach und Wagner kurz vor 1600 die Namen der Pächter nicht überliefert, sondern nur die der Eigentümer beziehungsweise der Inhaber des Lehens. (Hierzu auch: HStAM 19a,934 und HStAM 40 f, 391)

Es gibt lediglich eine weitere Ausnahme. Im Dokument (HStAM, 257, B341) bezüglich des Rechtsstreites zwischen den Schencken und den Milchlings einerseits und der Familie von Breidenbach andererseits ist von einer in der Urkunde nicht namentlich genannten Schwester des Caspar von Breidenbach die Rede, die den Hof auch bewohnte. Die Schencken warfen ihr vor, dass sie das Haus und den Garten habe „verwusten“ lassen und keine Reparaturen vorgenommen habe, obwohl sie doch dort „Wohnung hatte“. Das war im Lehensrecht eine schwerwiegende Anschuldigung, denn der Lehensnehmer war dazu verpflichtet das Gut baulich und wirtschaftlich in Ordnung zu halten. Bei Verstoß durch Missachtung konnte dem Lehensnehmer sogar das Lehen entzogen werden. Ob das Haus in den 20er und 30er Jahren des 16. Jahrhunderts tatsächlich so heruntergekommen war, oder ob es eine Taktik der Schencken war, die ehemaligen Lehensleute schlecht zu machen, bleibt offen. Klar ist nur, dass ausgerechnet in dieser Zeit, nämlich 1527, eine Reparatur stattgefunden hatte, die erst in diesem Jahr dendrochronologisch nachgewiesen werden konnte. Man hatte 1527 also die nordöstliche Hausecke reparieren lassen.

Auf genau diese naturwissenschaftlichen Untersuchungen, aber auch auf spezielle Funde in und um das Haus herum soll zum Schluss kurz eingegangen werden. So hat eine im Juli 2017 durchgeführte dendrochronologische Untersuchung ergeben, dass tragende und nicht auswechselbare Holzteile des Gebäudes aus dem Jahr 1527 und Teile einer Innenwand aus den Jahren 1577/78 stammen. Weitere dendrochronologische Untersuchungen sind geplant. Außerdem wurden vielfältige aus dem Mittelalter stammende Funde innerhalb des Hauses gemacht, wie beispielsweise in Fußböden und Wänden, die durch das Denkmalamt auch entsprechend datiert wurden. Auch gibt es eine Rauchküche, deren Abzug (Rauchhaus) nicht auf dem Dachboden, sondern unterhalb des 2. Stockwerkes endet, was auf eine Aufstockung vor 1600 schließen lässt, da sich im Raum darüber, der keinerlei Ruß aufweist, Wandausmalungen aus der Zeit vor dem 30-jährigen Krieg befinden. Auch aus diesem Grunde ist damit definitiv ausgeschlossen, dass es sich beim Schenkbarschen Haus um einen einheitlichen Baukörper aus dem Jahr 1610 handeln kann.

Den ältesten Teil bildet aber der Keller mit dem angesetzten Rundturm an seiner südöstlichen Ecke. Dieser 6 x 8 Meter große Keller wurde zwei Meter tief in den anstehenden Felsen gehauen und mit einer nahezu vier Meter hohen Tonne überwölbt. Der Sandsteinbogen unterhalb des Kellerhalses wurde kürzlich auf eine Entstehungszeit vor ca. 1350 datiert. Der Keller selbst, wie auch der Turm sind in einer Bauphase zwischen etwa 1150 und 1350 entstanden. Leider ist das einfach gefügte Mauerwerk nicht genauer datierbar. Eindeutiger ist ein in den Felsen gehauener Gang zu datieren, der möglicherweise zur Entwässerung des Gewölbekellers diente und innerhalb des Turmes entlangführt. Ähnliche Baulichkeiten sind aus dem nahen Marburg bei Grabungen an der Stadtmauer dokumentiert und dort in eine Zeit um 1180 zu datieren. Allerdings ist der Biedenkopfer Gang bedeutend aufwändiger ausgeführt. So wurde er über mehrere Meter lang einen Meter tief in das anstehende Grundgestein geschlagen und seine Wände glattpoliert, darüber ein Gewölbe eingepasst. An seinem Ende befindet sich eine Art Sickergrube, die ebenfalls in den gewachsenen Felsen getrieben wurde und ebenso polierte Wände aufweist. Dieser Gang wird noch Gegenstand weiterer geplanter archäologischer Untersuchungen sein.

Man kann also zusammenfassend als aktuellen Wissenstand formulieren, dass das Schenkbarsche Haus seinen Ursprung als Burgmannssitz der Ritter von Döring in einer Zeit vor oder spätestens um 1200 herum genommen hat. 1365 wurde es in einer Urkunde im Zusammenhang mit einem Verkauf zum ersten Mal urkundlich erwähnt. Ab etwa 1400 war es als Burgmannssitz an die Herren von Breidenbach als Lehen vergeben und wurde 1541 durch Erbe an die Schencken und Milchlings übergeben. Aufgrund des daraus folgenden Erbstreits kaufte der hessische Landgraf das Haus und den Hofgarten im Jahr 1575, um das Gut danach zunächst als Lehen und später als Erblehen an seine Amtsleute zu vergeben. Bis zur Privatisierung im Jahre 1815 blieb das Haus durchgängig das Amtshaus der Schultheißen und teilweise auch der Rentmeister für das Amt Biedenkopf. Spätestens ab 1815 war das Haus in zwei Hälften geteilt und wurde erst 2009 wieder zu einer Einheit zusammengeführt. Bauhistorisch besteht es aus Bauabschnitten aller früheren Jahrhunderte auch vor 1610, wenn auch Heinrich Schenckbar durch seinen groß angelegten Umbau dem Haus in diesem Jahr sein heutiges äußeres Erscheinungsbild gab.

 


 

Wissenschaftliche Abhandlung Teil 2:

 

Nachdem in der letzten Abhandlung die Geschichte des Biedenkopfer Gutes und damit auch des dazu gehörigen Hauses ab etwa 1540 bis zum heutigen Tage nahezu lückenlos dargestellt werden konnte, ergaben sich bisher zwei größere Lücken in der Geschichtsschreibung. Bekannt und gesichert war, dass das Gut ab etwa 1500 in den Besitz der Herren von Breidenbach genannt Breidenstein gekommen war, und dass es im Jahre 1365 von dem Ritter und Edelknecht Krafft von Döring an den Bürger Kunz Ruhlen verkauft worden war. (HStAM, Urk. 45, 2 und u.a. HStAM, 257, B 341 )

 

 

Nun kann anhand weiterer Quellenfunde die Zeit zwischen 1365 und 1532 erschlossen werden und es können durch weitreichenden Austausch mit Fachleuten aus vielen Wissenschaftsgebieten und abschließend einer Begehung und Begutachtung durch Archäologen des Landesamtes auch einige Aussagen zur Vorgeschichte vor 1365 getroffen werden.

 

Ausgangspunkt der Ausführungen soll eine Urkunde über einen Schiedsspruch zwischen den Vettern Heinz und Caspar von Breidenbach sein, die unter Zeugen am 10. März 1532 aufgesetzt wurde. (HstAM, Urk 49, 719)

 

 

Neben einer Auseinandersetzung über das rechtmäßige Eigentum bezüglich des Burglehens von Biedenkopf und eines Gutes in Friedensdorf ging es auch um die beiden Höfe der Breidenbacher genannt Breidenstein in der Stadt Biedenkopf. Wie aus dieser Urkunde hervorgeht, hatte Heinz von Breidenbach den Hof an der Eichpforte, also die heutige „Klingelburg“ bekommen, was Caspar von Breidenbach lange nicht hinnehmen wollte. Caspar als der Älteste der Linie sollte sich mit dem „geringeren“ anderen Hof in der Stadt begnügen, bei dem es sich wie in Teil 1 dargelegt um das heutige Schenkbarsche Haus handelte. Man einigte sich aber in dem Dokument darauf, dass es hier beim Status-Quo bleiben solle. Caspar von Breidenbach behielt das andere, unbedeutendere Gut, welches er im Dokument als das „Knorengut“ bezeichnete. Klar war anfangs nur, dass es sich bei dem bisher unbekannten Namen „Knorengut“ also um eine alte Bezeichnung für den späteren Hofgarten und damit das Schenkbarsche Haus handeln musste. Klarheit brachte aber erst ein Blick in die weitere Vergangenheit.

 

 

Kunz Ruhlen, der das Haus über dem Kirchhof 1365 gekauft hatte, stammte ursprünglich aus Biedenkopf. Er war der Sohn von Konrad Wypracht und Metze Pfefferkorn. Später ging er als Schöffe nach Frankenberg und trat als Witwer am Ende seines Lebens in das Johanniterkloster Wiesenfeld ein. Sein Erbe trat seine Tochter Else an, die mit dem Frankenberger Schöffen und Bürgermeister Kunz Deinhard verheiratet war. Else verstarb 1403 als Mitglied einer sehr reichen und angesehenen Patrizierfamilie. Sie hatte eine Tochter mit Namen Gertrud, die sogar in den örtlichen Adel einheiratete, nämlich den 1456 verstorbenen Werner von Münchhausen, dessen Mutter wiederum eine geborene Pfefferkorn war. Aus dieser Ehe gingen vier Kinder hervor: Heinrich war Priester und Stiftsherr auf der Amöneburg, Femel war Nonne im Kloster Ahnaberg bei Kassel und die jüngste Tochter Katharina war Äbtissin im Kloster Caldern. So ging das weltliche Erbe an die einzige verheiratete Tochter Meckel über, die um 1440 den Fritzlarer Schöffen Rudolf Knorre heiratete. (ZfhGL Band 79, S. 138 + Band 95 Cordus NF und Hessische Familienkunde Band 10 und Band 12, Heft 7)

 

 

Hier bekommt das „Knorengut“ aus der Urkunde von 1532 einen Sinn. Es war das Gut, welches die Familie Knorre in Biedenkopf besessen und von Kunz Ruhlen geerbt hatte.

 

Interessant ist es, sich den Familienverband der Knorres und ihrer Verwandten einmal näher anzusehen. Wir haben es hier nicht nur mit einem der mächtigsten und reichsten Patriziergeschlechter des Spätmittelalters im oberhessischen Raum zu tun, die reich mit Lehen und eigenen, also allodialen, Gütern ausgestattet waren, sondern die auch immer wieder ihren Einfluss bis in höchste Kreise der Gesellschaft ins Spiel brachten.

 

 

Besonders beispielhaft für die Familienpolitik der Knorres ist das Geschehen rund um ein Liebesverhältnis zwischen dem Raubritter Reinhard von Dalwigk und Barbara Knorre, die eine Nichte von erwähntem Rudolf Knorre und der Meckel von Münchhausen war. (Christoph von Rommel: Geschichte von Hessen. 2. Teil, Hampe, Kassel 1823, S. 326 )

 

 

Reinhard von Dalwigk galt nicht nur als reich und geldgierig, sondern auch als jähzornig und streitsüchtig. So war er vor 1461 in zahlreiche Fehden und Raubzüge verwickelt, die sich durch ganz Ober- und Niederhessen zogen. Er war dafür berüchtigt, dass er bei seinen Raubritterzügen ganze Dörfer plünderte und in Brand setzte. Dafür wurde er von Landgraf Ludwig dem Ersten 1443 des Landfriedenbruchs angeklagt. Da sich Reinhard geschickt mit den Gegnern Hessens, dem Mainzer Erzbischof und dem Grafen von Waldeck, verschwor, wurde er auf der legendären Weidelsburg belagert und musste fliehen. Er soll auf der Weidelsburg eine nahezu fürstliche Hofhaltung betrieben haben.

 

Von den Truppen des Landgrafen gesucht, versteckte er sich im Haus der Barbara Knorre, verliebte sich in diese und zeugte eine Tochter mit ihr, die den Namen Nese erhielt. Zu diesem Zeitpunkt war Reinhard aber noch mit Agnes von Hertingshausen verheiratet, so dass Nese Knorre unehelich zu Welt kommen musste. Kaum war seine Frau 1459 gestorben, heiratete Reinhard von Dalwigk seine Barbara Knorre, legitimierte damit seine Tochter und setzte diese und die Mutter zu Alleinerben ein. Hierüber gibt es vielfältige Urkunden als Beleg (u.a. HStAM, Urk. 85, 3407 oder HStAM, Urk. 110, 229 ). Die Tochter Nese entschied sich aber für das Klosterleben, so dass auch das Erbe des Ritters von Dalwigk der Familie Knorre und deren Nachkommen zufiel.

 

 

Auch durch weitere Ehen und Bündnisse aller Art vergrößerte sich der Reichtum und die Macht des wachsenden Familienverbandes. Hier müssen wir zunächst anmerken, dass der Begriff der Familie in der Zeit des Hochmittelalters ein ganz anderer war, als er sich nach heutigen Maßstäben der Kleinfamilie darstellt. Unter den Begriff Familie fielen nicht nur Eltern, Kinder, Geschwister oder Enkel, sondern auch Vettern und Basen, Tanten und Onkel bis in den vierten oder gar fünften Verwandtschaftsgrad und auch die angeheiratete, verschwägerte Verwandtschaft, so dass wir hier von sehr großen Sippen oder Klans sprechen können, die sich in sogenannten Ganerbschaften von zum Teil mehreren hundert Personen zusammenfanden. Das gemeinsame Eigentum an Allodialbesitz, Lehen oder damit verbundenen Einkünften wie etwa Gülten oder Pachten wurden als Gemeinschaftsbesitz der Ganerbschaft verstanden und bei speziellen Anlässen wie etwa Erbteilungen oder der Ausstattung von Mitgiften neu verteilt, so dass jedes Mitglied einer solchen Ganerbschaftssippe sicher sein konnte, dass für jeden gleichermaßen für materiellen Wohlstand gesorgt werden konnte.

 

 

Einen solchen Stammbaum zu zeichnen oder schriftlich darzustellen, sprengt jeden Rahmen. Mit Hilfe von mehreren erfahrenen Genealogen ist es allerdings gelungen, die familiären Verbindungen, Verwandtschaften und Verschwägerungen zu ordnen. Hierbei sind nicht nur die Hefte der Hessischen Familienkunde und die neue Methode der Internetgenealogie hilfreich, sondern speziell die Erkenntnisse und Zusammenhänge die sich aus dem Güterverzeichnis von Friling von 1343 ergeben. (ZdVfhGuL 1968 Band 7, S.138ff) Dieses Güterverzeichnis ist zwar für die Klärung der Besitzverhältnisse bezüglich des Schenkbarschen Hauses zeitlich zu früh, leistet aber hervorragende Dienste bei der Klärung langfristiger Verflechtungen und Verwandtschaftverhältnissen.

 

 

Zum Ganerbschafts- und Familienverband der Knorre zählten auch die Patrizierfamilien Friling aus Frankenberg, Iwan und Katzmann aus Fritzlar, Rotzmul aus Alsfeld, Im Hofe genannt Rode und die Familien von Martorf und „Zum Paradies“, die sich aufgrund ihrer ursprünglichen Herkunft auch von Bidencapp nannten, sowie letztendlich durch mehrfache gegenseitige Einheirat auch die seit der Mitte des 15. Jahrhunderts doch recht verarmte Familie von Hohenfels aus Biedenkopf, Eckelshausen und Amönau. Aus hunderten Urkunden ist gut ersichtlich, wie sich die Teilfamilien im ausgehenden Mittelalter hier gegenseitig mit Lehen ausstatteten, beerbten, unter einander heirateten, beschenkten, Lehen und Güter und Einkünfte verkauften und beliehen.

 

 

Hervorheben lassen sich hier noch einmal die Familien Im Hofe und Zum Paradies, die nicht nur durch Reichtum und politischen Einfluss auffallen und beide sowohl zum bürgerlichen Patriziat als auch zum Adel zählen, sondern auch zur intellektuellen Elite des ausgehenden Mittelalters. So wird beispielsweise Heinrich Im Hofe genannt Rode in nahezu allen Urkunden als „Magister der Sieben freien Künste“ bezeichnet. (z.B. HStAM, Urk. 17, 181 ) Dieses Studium der Fächer Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie galt als Grundlage für das Studium der drei Fakultäten Theologie, Recht und Medizin. Man konnte Magister Heinrich also ohne Übertreibung zu den früh-humanistischen Gelehrten seiner Zeit zählen. Und das Jahre vor der Gründung der Universität. Er war es auch, der im Jahre 1478 sein gesamtes Vermögen an eine Stiftung übertrug, die zur Gründung des Kugelklosters in Marburg führte. Mit Recht galten die dort ansässigen „Brüder vom gemeinsamen Leben“ als stille Vorboten der Reformation. Sie waren in ihrer theologischen Ausrichtung ausschließlich der mystischen Betrachtung der Heiligen Schrift und ihrer Auslegung, sowie der humanistischen und klassischen Bildung verpflichtet. (Academia Marburgensis; Bd. 1 (1977): Beiträge zur Geschichte der Philipps-Universität Marburg. Für den Fachbereich Geschichtswissenschaften hrsg. von W. Heinemeyer, Th. Klein, H. Seier. Marburg 1977. [Beiträge: Heinemeyer, Karl: Die Marburger Kugelherren als Wegbereiter der Universität (S. 1–48); Heinemeyer, Walter: Zur Gründung des universale studium Marburgense (S. 49–92) )

 

 

Auch die Familie „Von Bidencapp Zum Paradies“ stach in ihrer gesellschaftlichen Stellung heraus. Ihren Ursprung hatten sie in Biedenkopf. Schon in der Kölner Urkunde von 1196, in der der Ort Biedenkopf seine Ersterwähnung fand, wurde der Name des Geschlechtes „de Bidencapp“ genannt. Sigfrid von Bidencapp war bereits um 1260 einer der ersten Schultheißen von Biedenkopf. Er war mit Meckel Im Hobe verheiratet. Die immer wieder durch Heirat wiederholte verwandtschaftliche Verbindung dieser beiden Familien begann also schon in der Frühzeit der Stadtgeschichte. Im 14. Jahrhundert verzog die Familie nach Marburg und baute ein besonders schönes und auffälliges Haus, das als „Paradies“ bezeichnet wurde. Bald schon wurde diese Bezeichnung auch zum Namensbestandteil der Familie. Aber der gesellschaftliche Aufstieg war noch nicht beendet. Siegfried von Bidencapp Zum Paradies wurde vom Erzbischof von Mainz erzogen und schon sehr bald gemeinsam mit seinem Freund und wahrscheinlich auch Verwandten Rudolf Ruhle als Berater und Günstling an den Hof Kaiser Karls IV gerufen. Mit Ruhle, der zunächst Probst von Wetzlar, dann kaiserlicher Notar und später Bischof von Verden wurde, nahm Siegfried von Bidencapp Anteil an der Weltpolitik seiner Zeit. In seinen späteren Jahren wurde er Bürger der Stadt Frankfurt, heiratete Katharina zum Wedel, wurde kaiserlicher Reichsschultheiß und zeitweise Frankfurter Bürgermeister. In ihren Funktionen korrespondierten Siegfried Zum Paradies und Rudolf Ruhle mit Fürsten, Königen und Päpsten. (Rudolf Jung: Sigrid zum Paradies. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB) Band 34 D) (wikipedia.org/wiki/siegfried zum Paradies (gesehen 08.03.2018)); (Waldemar Küther: Rudolf Rule von Friedberg, Propst zu Wetzlar, Bischof von Verden und Notar Kaiser Karls IV. in: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde NF 37, 1979, S. 79–151)

 

 

Wer aber wohnte während all dieser Zeit im Gut in Biedenkopf? Die Eigentumsverhältnisse lassen sich sehr gut nachweisen und nachvollziehen. Über die Pächter und wirklichen Bewohner des Hauses schweigen die Quellen hingegen meist. Üblich war es, dass die Patrizierfamilien einzelne Verwandte oder Familienmitglieder zur Verwaltung in die entsprechenden Güter setzten. Vergleicht man die Daten aus dem Biedenkopfer Stadtbuch und dem dort enthaltenen Verzeichnis der Einbürgerungen, so ist auffällig, dass genau die Namen (Nachnamen) der Patrizierfamilien und ihrer Verwandten dort verzeichnet sind, die in den Stammbäumen der eben erwähnten beteiligten Familien vorkommen. Es liegt also nahe, dass diese Personen sozusagen im Auftrag der Gesamtsippe das Gut bewohnten und verwalteten. Längst nicht alle Namen sind dort überliefert, aber beispielhaft seien hier in alphabetischer Reihenfolge genannt: Henne im Hobe (eingebürgert 1422), Gelchin Rodenhusen (Bote 1411), Werner Rudolf „Ruhl“ (Bote 1395), Sibel Ruß (Bote 1432), Hermann yn Steinhaus (1445 Bürgermeister) und Heintze Uff dem Reyne (Bote 1425). All diese Familiennamen, sofern man zu dieser frühen Zeit schon davon sprechen kann, sind also auch ein Bestandteil des weitläufigen Stammbaums der Nachfahren von Kunz Ruhlen oder sind mit seinen Nachkommen verwandt oder verschwägert. Interessanterweise häuft sich die Funktion als Stadtbote immer wieder, was auch daran liegen könnte, dass sowohl der Wohlstand als auch die räumlichen Gegebenheiten rund um das Schenkbarsche Haus das Halten eines Pferdes ermöglichte, was wiederum zur Ausübung dieser Botentätigkeit notwendig war. (Elsa Blöcher, Beiträge zur Geschichte des Hinterlandes, Das Stadtbuch von Biedenkopf, S.395ff) Da es im 15. Jahrhundert aber weder Einwohnermeldeämter und auch noch keine durchgängig geführten Salbücher etc. gab, lassen sich die Bewohner leider nur vermuten. Nur in den seltesten Fällen, wie etwa bei Eylung von Hurle 1365 oder dem Boten Nolde 1477, wurden sie eher zufällig in den Urkunden extra erwähnt.

 

 

Im Rahmen von vielfachen Güterverschiebungen war auch das „Knorengut“, also der spätere Hofgarten, immer wieder innerhalb dieser Familien hin und her verschoben worden, bis der Marburger Schöffe Siegfried zum Paradies, wahrscheinlich ein Nachkomme oder naher Verwandte des eben erwähnten anderen Siegfrieds, im Jahre 1477 dem Biedenkopfer Bürger Ludwig von Hohenfels und seiner Frau Grete sein Haus und alle dazu gehörigen Nebengebäuden in Biedenkopf zum Erblehen übergab. Die dazu gehörige Gülte, eine Naturalabgabe, betrug 9 Turnosen Geld und ein Huhn, die Hohenfels jährlich in der Marburger Wohnung des Lehensgebers abzuliefern hatte. Vorher hatte der Biedenkopfer Stadtbote Nolde (der Schwiegersohn von Henne von dem Dornhobe) das Gut zur Pacht für 9 Schillinge Marburger Währung und ebenfalls einem Huhn jährlich inne. (Urkundensammlung der Universität Gießen, Nr 105, Regest Eckhardt I, 347)

 

 

Jetzt war das ehemalige Gut der Knorren endgültig in der Hand der einheimischen Adelsfamilie von Hohenfels, die seit Jahrhunderten in Biedenkopf als Rittergeschlecht ansässig war und in früherer Zeit viele wichtige und einflussreiche Ämter inne hatte. Lediglich die an den Grund und Boden gekoppelte Gülte musste ähnlich der heutigen Grundsteuer weiter an die zuständigen Rechtsinhaber entrichtet werden. Und genau diese Gülte war es, die einige Jahre später noch einmal unabhängig vom Besitz des eigentlichen Gutes weiterveräußert wurde.

 

 

So verkaufte im Jahre 1485 Katharina, die Witwe des Henn von Martorf, die eine Schwester des Ludwig zum Paradies (Sohn des Siegfried zum Paradies)war, die zum Haus in Biedenkopf gehörige Gülte an ihren Schwager Henn Iwan, der damals Bürgermeister in Fritzlar war. Des weiteren wird in derselben Urkunde erwähnt, dass das Haus dem Ludwig von Hohenfels gehörte. (UniA Marburg, Urk. 91, 204 )

 

 

Bereits vier Jahre später, also 1489, verkaufte dessen Sohn Eitel Iwan als Schöffe in Fritzlar die Gülte weiter. Diesmal an das Brüderhaus zum Löwenbach in Marburg, das man später das Kugelkloster nannte. Die Mönche dort wurden also nun Empfänger der zum Haus in Biedenkopf gehörenden Gülte. Die Höhe der jährlichen Zahlungen hatten sich seit dem Erbleihbrief von 1477 nicht geändert. Weiterhin waren 9 Turnosen Geld und ein Huhn zu liefern, nur eben jetzt an das Kloster in Marburg. (UniA Marburg, Urk. 91, 212 )

 

 

Interessant ist noch zu erwähnen, dass Ludwig von Hohenfels in der letzten Urkunde als „Ludewig Pütz“ bezeichnet wird. Den Beinamen „Ludwig von Hohenfels auf der Pitze“ trugt dieser schon lange auch in anderen Urkunden. Lange wurde über die Bedeutung des Wortes „Pitze“ gerätselt. Hier müssen wir in die Geschichte der Sprachentwicklung schauen. Im Mittelhochdeutschen, aber auch im Frühneuhochdeutschen bedeutet Pitze eben nicht Pfütze, sondern es ist eine Bezeichnung für ein Baumgrundstück mit Obstbäumen. Heute würden wir Streuobstwiese dazu sagen. In Biedenkopf gab es ähnliche Flurbezeichnungen genau zweimal. Zum einen wurde eine „kleine Pitz“ genannt, die sich im Frauental befand, und dann noch die „Pfütze“, die das Gelände bezeichnete, auf dem sich heute der Bahnhof befindet. Das Bahnhofsgelände muss allerdings vor der Trockenlegung im 19. Jahrhundert tatsächlich einer feuchten Pfütze geglichen haben. Auf jeden Fall befanden sich beide Bereiche für das Hochmittelalter viel zu weit außerhalb der Stadtbefestigung und in unerschlossenem Gelände. Für das Wohnhaus eines Ritters lassen sich wohl beide Grundflächen ausschließen, so dass Ludwig von der Pitze sich auf ein Grundstück innerhalb der Stadtmauern bezogen haben muss, eben auf den zum Haus über dem Kirchhof gehörenden Hofgarten. Dieser ist, wie man auf alten Zeichnungen und Stichen noch bis in die 1860er Jahre gut erkennen kann, übersäht mit Obstbäumen. Es liegt also auch inhaltlich nahe, dass dies die „Pitze“ ist, auf der unser Ritter und Bürger Ludwig von Hohenfels wohnte.

 

 

Zum Anderen ist es auffällig, dass Hohenfels in der ersten Urkunde als Bürger bezeichnet wird, obwohl er doch definitiv adeliger Herkunft war. Hier kündigt sich bereits das Ende des Mittelalters an und der Übergang zu Renaissance. Standesregeln galten nun doch weniger als das große Geld, und die Hohenfels waren in dieser Zeit nicht nur hoch verschuldet, sondern regelrecht verarmt.

 

 

Nun schlug aber das Schicksal gleich zweimal zu, denn lange Freude an Ihrem Eigentum oder Ihrer Gülte hatten beide Seiten nicht. Auf der einen Seite beendeten Familienereignisse die Gegebenheiten und auf der anderen Seite das religionspolitische Weltgeschehen.

 

 

Ludwig von Hohenfels hatte nur einen Sohn, Adolf, der nicht nur einen Dienst als Burgmann in Auerbach bei Bensheim antrat und damit die Heimat weiträumig verließ, sondern er starb 1505 auch noch kinderlos, so dass das Geschlecht der Hohenfels zu Biedenkopf damit komplett erlosch.

 

Ein letztes Mal tauchten die Hohenfels zu Biedenkopf in einer Urkunde aus dem Jahre 1491 auf. Adolf von Hohenfels (jetzt zu Auerbach) bat darin Graf Johann zu Nassau auch im Namen aller seiner Angehörigen und Erben, nicht mehr ihn und seine Familie, sondern künftig die Herren von Breidenbach mit den Gütern zu belehen (HHStAW, 170 I, U 2138 ). Die Herren von Breidenbach und die von Hohenfels waren nicht nur seit uralten Zeiten wechselseitige Erben auch per Ganerbschaftsvertrag, sondern auch damals nahe Verwandte. Die Großmutter von Ludwig von Hohenfels auf der Pitze war Adelheid von Breidenbach, von der über Johann und Arnold von Breidenbach auch Caspar von Breidenbach abstammte, der das Gut übernehmen sollte. So also ging der Hofgarten und das Haus über dem Kirchhof an die Herren von Breidenbach über. Das Haus Hohenfels selbst starb in den folgenden fünfzig Jahren in allen Linien komplett aus, zunächst die Linie in Amönau und zum Schluss die Hohenfels zu Eckelshausen. Nach dem Heimfall aller Lehen an den Landesherren und der Übertragung aller Güter an die Herren von Breidenbach war im Jahre 1569 die über 600-jährige Historie des Rittergeschlechts der Hohenfels endgültig nur noch Geschichte. (siehe u.a. hierzu HHStAW, 171, Z 980 )

 

 

Aber auch über das Kugelkloster in Marburg brach die Weltgeschichte herein. Bis 1527 konnten die Kugelherren im Kloster mit ihren 9 Turnosen Geld und ihrem Huhn rechnen, zunächst von den Hohenfels, dann von den Breidenbachs. Nach 1527 wurde die Reformation in Hessen eingeführt und die Klöster wurden aufgelöst. Die Besitzungen der umliegenden Klöster gingen entweder in den Besitz des Landgrafen oder in das Vermögen der neu gegründeten Universität in Marburg über. Es wurden durch Landgraf Philipp Vogteien für die aufgehobenen Klöster gegründen, die den ehemaligen Besitz und die Einkünfte verwalteten und der Universität zur Versorgung der Professoren und anderen Aufgaben zuführten. (Springer, Klaus-Bernward, Die deutschen Dominikaner in Widerstand und Anpassung während der Reformationszeit, 1999). Wir können also davon ausgehen, dass auch in den Jahren nach der Reformation die Gülte von den Herren von Breidenbach und später von den Schencken und den Milchlings weiter an die Vogtei und damit die Universität gezahlt wurde. (UniA GI, Zentrale Universitätsverwaltung 1, Allg. Nr. 671 – 763 (Einnahmen Ausgaben Vogtei des Kugelhauses)). Dies mag erst geendet haben, als 1575 der Landgraf selbst das gesamte Gut käuflich erwarb (siehe ersten Teil dieser Abhandlung)

 

Es liegt nun nahe, eine These aufzustellen, die aber noch nicht durch Urkunden belegt werden kann, jedoch in ihrer Logik nahe liegt. Der Überlieferung nach soll im Jahre 1563 die Universität wegen der in Marburg herrschenden Pest den Weg ins spätere Schenkbarsche Haus gefunden haben. In dieser Zeit waren gleich zwei Professoren im Universitätsdienst beschäftigt, die nicht nur Vettern waren, sondern beide ihre familiären Wurzeln in Biedenkopf hatten. Es waren dies der Theologe Johann Pincier (1521–1591) und der Altphilologe Justus Vultejus (1529-1575). (Hessische Familienkunde, Band 13, Heft 4, 1976) Es läge also durchaus nahe, dass Vultejus mit den jüngsten seiner Studenten sozusagen nicht nur in die Stadt seiner Vorfahren, sondern eben auch in das Gut dort floh, welches der Universität durch die Zahlung einer jährlichen Gülte ohnehin verpflichtet war.

 

 

So können wir also jetzt die Geschichte des Schenkbarschen Hauses, das einmal das Haus über dem Kirchhof, dann das Knorrengut, dann die Pitze und später auch der Hofgarten war, lückenlos seit mindestens 1365 in Augenschein nehmen.

 

Was zum Schluss noch bleibt, ist ein Blick in die graue Vorzeit vor 1365. Hier schweigen die schriftlichen Quellen bisher. Was wir wissen ist, dass das Gut vor Kunz Ruhlen dem Rittergeschlecht von Döring gehörte. Ob das von Anfang an so war, oder ob es auch im Besitz anderer Geschlechter war, bleibt bisher unbekannt.

 

 

Ein wenig mehr Klarheit über das Alter der einzelnen Gebäudeteile haben mehrere Besuche von Fachleuten und Bauforschern und vor Kurzem von einem Team von Archäologen des Landesamtes für Denkmalpflege gebracht.

 

 

Eindeutig und einhellig war die Datierung aller steinernen Gebäudeteile ins Hochmittelalter. Die Mauern, auf denen das Haus und die Stallungen ruhen, gehören in jedem Fall zur ursprünglichen Stadtbefestigung. Es handelt sich um romanische Mauern in der typischen Bauweise zwischen 1100 und 1300. Die Ersterwähnung Biedenkopfs als Stadt, also als „castrum et oppidum“, stammt aus dem Jahr 1254. Da Biedenkopf in dieser Urkunde bereits als bestehende Stadt Erwähnung findet, kann man davon ausgehen, dass die Befestigungsanlagen zu diesem Zeitpunkt bereits bestanden haben. 1232 wird Biedenkopf als „villa“ bezeichnet. Auch eine „villa“ kann bereits einfache Befestigungen aufweisen, oder besteht öfter aus mehreren in sich befestigten Einzelhöfen, die sich um eine Kirche gruppieren. Die Ersterwähnung Biedenkopfs, die am frühesten datiert, stammt von 1196. Hier wird zwar nur der Name erwähnt, aber es belegt dennoch, dass der Ort, in welcher Form auch immer, bereits bestanden haben müsste. Irgendwann zwischen diesen Jahren muss die Stadtmauer demnach errichtet worden sein, also vermutlich zwischen 1232 und 1254. („Biedenkopf, Landkreis Marburg-Biedenkopf“, in: Historisches Ortslexikon lagis-hessen.de/de/subjects/idrec/sn/ol/id/9442 (Stand: 9.2.2018) )

 

 

Das Haus ruht demnach auf Mauern, die vermutlich um 1240 errichtet wurden. Da keine Baunaht zwischen den Mauerteilen und dem darauf aufliegenden Gewölbe des großen Kellers nachweisbar ist, muss auch dieser aus der gleichen Zeit stammen. Bautechnisch ist dies auch durchaus möglich. Der Rundturm, der sich an die süd-östliche Hausecke anschließt, weist große bauliche Ähnlichkeiten mit Bauteilen auf der Burg auf. Aufgrund der Ähnlichkeit in der Bauweise zum Bergfried auf dem Schloss, der in die Zeit um 1160 datiert wird, wäre es sogar möglich, dass der Turm bereits vor 1240 sozusagen als Teil eines bereits bestehenden Gebäudes der „Villa Bidencapp“ entstand. Verbunden ist der Turm mit dem Keller durch einen Kriechgang. Dieser endet nach etwa vier Metern im Fundament des Turmes. Die hierin gefundenen Gefäßscherben wurden ebenso in eine Zeit um ca. 1200 (+/- 100 Jahre, da keine Randscherbe erhalten geblieben ist) datiert.

 

Einen weiterer Anhaltspunkt gibt der romanische Rundbogen aus Sandstein, der den Zugang zum Keller bildet. Für die Datierung des Bergfriedes auf der Burg wurden auch die Bearbeitungsspuren des dortigen Sandsteinbogens herangezogen. Bei beiden Bögen wurde zum abschließenden Bearbeiten glatter Flächen kein sogenanntes Scharriereisen benutzt, das erst ab etwa 1200 überhaupt üblich wurde, und auch die Anzahl der verbauten Einzelsteine und ihre Anordnung lässt laut Fachleuten auf eine Entstehungszeit vor 1300 schließen. In jedem Fall ist die Lage des Hofes oberhalb der Hauptkirche in direkter Nachbarschaft zu Markt und Wasserversorgung verglichen auch mit anderen besser belegten Städten und Ortschaften typisch für den Bereich einer „Keimzelle“, also den frühesten Siedlungsraum.

 

Zusammenfassend kann man festhalten, dass es sich auch im Zusammenhang mit den Außenanlagen, dem Kriechgang und dem Turm um einen Gewölbekeller aus der Zeit um 1240 handeln könnte, was insgesamt nahe liegt. Die eigentliche Funktion des Kriechganges konnte bisher nicht weiter geklärt werden. Die Interpretationen hierüber gehen von der These eines Zuflusses zu einer außer Betrieb gestellten mittelalterlichen Zisterne, über einen kultischen Zusammenhang zum nahe gelegenen Kirchhof (im Sinne eines Erdstalls) bis hin zu einem banalen Versteck für Dinge und Personen in schweren Kriegszeiten. Da es hierzu keinerlei Quellen gibt und auch die wissenschaftliche Aufarbeitung solcher Phänomene noch in den Kinderschuhen steckt, muss hier bisher durchaus die Phantasie bemüht werden. Auf jeden Fall bleibt der Kriechgang nach wie vor ein in unserer Region geheimnisvoller Einzelfall aus dem Mittelalter, der möglicherweise auch in Zukunft noch weiteren Generationen Rätsel aufgeben wird.

 

 

In jedem Falle können wir festhalten, dass es in Biedenkopf kein zweites Gebäude außerhalb der Burg gibt, das einen so großen Anteil an der Geschichte der Stadt und der Region genommen hat, wie das Schenkbarsche Haus. Auch wenn weite Teile des Fachwerkbestandes aus der Zeit zwischen 1527 und 1610 stammen, so war doch zumindest der Keller, die Grundmauern und der Turm Zeuge der gesamten über 750-jährigen Stadtgeschichte.

 

Bedanken möchte ich mich besonders bei Herrn Andreas Dolata aus Kiel, nicht nur, weil er selbst ein Nachfahre sowohl von Kunz Ruhlen als auch der Amtsfamilie Walther ist, sondern weil ohne sein Wissen die genealogischen Zusammenhänge nicht hätten erschlossen werden können. Ein weiterer Dank gilt Herrn Bamberger, meinem Partner Christoph Kaiser und dem Archäologen-Team aus Marburg, ohne deren Beratung und Tipps so viele Erkenntnisse nicht zustande gekommen wären.

 

 

Insgesamt und in Kurzfassung kann man die Geschichte des Schenkbarschen Hauses fogendermaßen zusammenfassen:

 

Von ca. 1240 bis 1365 Burgmannshof ansässiger Rittergeschlechter, zuletzt der Herren von Döring, 1365 bis 1477 unter der Bezeichnung „Knorrengut“ im Besitz verschiedener versippter Patrizierfamilien, 1477 bis 1541 Erbhof der Adelsfamilien Hohenfels und Breidenbach, 1541 bis 1575 Besitz der Adelsfamilien Schenck zu Schweinsberg und Schutzbar genannt Milchling, 1575 bis 1610 landgräflich hessisches Lehen der jeweiligen Biedenkopfer Schultheißen und Rentmeister, 1610 bis 1815 Erblehen der Amtsfamilien Schenckbar, Walther, Zießler und Schmidtborn, 1815 bis 2009 geteilt in zwei Haushälften Privatbesitz mehrer bürgerlicher Familien, 2009 bis heute wiedervereintes privates Wohnhaus und Privatmuseum.

 

 

Elvis Benner, Biedenkopf im März 2018

 

 

 


 





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